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Corina Zaloha

Adoptivstillen - so viel mehr als Nahrung

Ich stille meinen Sohn! „Ja ok, nicht verwunderlich!“ - wird sich die ein oder andere denken, die mich aus dem beruflichen Kontext heraus kennt – „Immerhin ist sie ja Stillberaterin“.


Meinen engsten Familien- und Freundeskreis hat es vermutlich auch nicht so sehr verwundert, da ich mich schon lange mit diesem Thema beschäftige. Familienmitglieder und Freunde, die ich nicht so häufig sehe, waren aber durchaus verwundert, wenn sie mich stillend mit unserem Baby sahen, denn er ist nicht unser leiblicher Sohn und wurde erst mit 2 Monaten herzlich bei uns willkommen geheißen.


Das Stillen eines nicht leiblichen Kindes, auch Adoptivstillen genannt, ist nicht sehr bekannt und das Wissen darüber liegt vor allem bei Stillberater*innen.

Ich erzähle euch heute ein wenig über unsere Geschichte und den Weg zum Stillen.


Schon lange bevor unsere Söhne zu uns kamen, habe ich mich mit diesem Thema beschäftigt, viel dazu gelesen und mich mit Kolleginnen ausgetauscht.


Mich faszinierte, dass der Körper im Stande ist, Muttermilch zu produzieren, auch wenn er kein Kind ausgetragen hat, und dass dieser Weg tatsächlich machbar ist.

Hier ein kurzer Exkurs in die Theorie und dazu möchte ich Mártha Guóth-Gumberger, die es kurz und prägnant in „Infoblätter zum Adoptivstillen“ schrieb, zitieren:


„Für das Stillen eines Babys nach einer Geburt (biologische Laktation) wird die Brust während der Schwangerschaft hormonell auf die Milchproduktion vorbereitet. Nach der Geburt erfolgt – ebenfalls hormonell bedingt – die Produktion von Muttermilch für einige Zeit automatisch. Wenn das Saugen ausbleibt, versiegt allmählich die Muttermilch. Nur durch regelmäßiges Saugen wird die Muttermilchproduktion durch die Kombination von hormoneller und mechanischer Stimulation aufrechterhalten bzw. nach Bedarf vergrößert. In dieser Wirkung des regelmäßigen Saugens des Babys liegt die Chance für den Aufbau der Milchproduktion beim Adoptivstillen (induzierte Laktation). Daraus ergibt sich, dass für den Aufbau von Muttermilchproduktion ohne eine unmittelbar vorangegangene Schwangerschaft mindestens so häufiges Saugen erforderlich ist wie beim Stillen eines gesunden, termingeborenen Babys durch die Mutter, die es geboren hat.“


Viele kommen durch eine induzierte Laktation zu einer Menge von 30-40% des Nahrungsbedarfes eines Babys, es gibt auch eine begrenzte Anzahl von Fällen, die eine noch beachtlichere Menge erzielen konnten. Diese stammen alle aus sogenannten Entwicklungsländern, die noch einen viel natürlicheren Zugang zum Stillen haben und wo es gesellschaftlich etablierter ist, und nicht aus Industrieländern.

Das Hauptaugenmerk sollte bei jeglichem Laktationserfolg immer auf der Mutter-Kind-Bindung liegen, die durch das Stillen auf wundervolle Art gefördert und unterstützt wird. Wenn das vorrangige Ziel des Stillens das Nahrungsbedürfnis des Babys ist, führt das meist zu Stress und dieser behindert nicht nur die Milchproduktion selbst, sondern noch viel essenzieller belastet es die Bindung sowie das gesamte Familiensystem.

Für eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema kann ich das Werk „Stillen eines Adoptivkindes und Relaktation“ von Elisabeth Hormann und „Infoblätter zum Adoptivstillen“ von Mártha Guóth-Gumberger ans Herz legen.

Zurück zu unserem Entscheidungsweg:

Auf unserem Weg waren da und dort nicht nur positive Stimmen zu diesem Thema. Wir wurden mit Fragen und Aussagen konfrontiert, wie „Lohnt es sich diesen Aufwand zu betreiben?“, „Macht man sich und damit dem Kind, das seinen Platz im Familienkreis finden soll, nicht mehr Stress als dass es einen Benefit bringt?“, „Man kann doch auch anders Bindung herstellen. Und ganz ehrlich, die Ersatznahrung heute ist ja auch wirklich nicht das schlechteste!“.


Wenn ich so durch die Literatur und die diversen Studien schaue, sehe, was Menschen bereit sind zu tun, um die eigene Laktation zu induzieren, dann muss ich sagen, dass ich diese Gedanken sehr gut nachvollziehen kann. Die Frage ist: „Was ist die Motivation dahinter, dass ich das tue?“ Und wenn ich hier meine eigenen Bedürfnisse über die des Kindes stelle, der Wunsch mein Kind ausschließlich mit meiner Muttermilch zu versorgen am größten wiegt, das vergesse um was es eigentlich geht bei diesem Angebot, ja dann stellt sich auch für mich die Frage, ob das für die neu gewonnen Familie nicht mehr Stress bringt.

Auch wenn die Motivation hinter dem Adoptivstillen das „Ersetzen“ eines leiblichen Kindes darstellt, ist es nicht gewinnbringend für das Kind, die Bindung sowie das Ankommen des Babys in der Familie. Denn was hier vollkommen übersehen wird, sind die Bedürfnisse des Babys, das schon einen oder mehrere Bindungsabbrüche hinter sich hat, einen ganzen Haufen an Erlebten mit sich bringt und wieder von vorne beginnen, neu Vertrauen schöpfen und sich wieder auf Bindungs- und Bezugspersonen einlassen muss.

Stillen ist ein Angebot und das sollte es meiner Meinung auch immer bleiben. Diese Balance zu finden, ist manchmal gar nicht so leicht, braucht eine gute Selbstreflexion und ein gutes Netzwerk an Familie und Freunden.

Nach vielen Gedankengängen, langen Gesprächen mit meinem Mann, Familie, Freunden, Kollegen und vor allem der steten Frage nach meiner Motivation dahinter beschloss ich, den Weg der induzierten Laktation zu gehen, sofern sie für ALLE stimmig ist.


Unser erster Sohn kündigte sich Anfang 2019 an und wir durften ihn schon bald nach einem Kennenlernen mit 7 Monaten bei uns aufnehmen. Unser fröhlicher unglaublich herzgewinnender Bub machte es uns mehr als leicht, ihn bei uns mit seinem ganzen Wesen anzunehmen und ihn bedingungslos zu lieben.

Uns war wichtig, dass er bei uns in seinem ganz eigenen Tempo ankommen darf, nicht alles von 0 auf 100 verändert wird und er vorgibt, wie es lang geht unter Einhaltung der Bedürfnisse von uns allen. Nach einer Zeit und dem Gefühl, dass nicht nur wir unseren Neuankömmling angenommen haben, sondern auch er uns, wagte ich den Schritt, das Stillen mit dem Brusternährungsset anzubieten. Damals hätte ich gesagt, dass die Situation nicht geglückt ist. Heute würde ich sagen: „Das Stillen war nicht das Angebot, das für unseren Sohn gepasst hat. Aber das Erkennen, dass es nicht UNSER Weg war, ist gemeinsam passiert und war bindungsstärkend, weil ich auf ihn geachtet habe.“ Wir haben sehr bedürfnisorientiert eine wunderbare Zeit mit der Flasche verbracht und hatten das Gefühl, dass weder ihm noch uns hier irgendetwas fehlt.


Sehr überraschend wurden wir Anfang 2020 erneut Eltern eines wunderbaren 2 Monate alten Buben, dem leiblichen Bruder unseres ersten Kindes, das wir auf seinem Weg begleiten dürfen. Die Vorbereitungszeit war gleich null und dennoch war für uns klar, dass es genau so sein darf und soll.

Wieder wagten wir den Versuch des Stillens, wieder mit den Gedanken, dass es für alle passen soll.

Auch hier stand wieder das Ankommen unseres zweiten Sohnes im Vordergrund und der sanfte Übergang von Flasche auf Brust, sofern er dies überhaupt zulassen würde. Ich wappnete mich also mit Brusternährungsset und Saughütchen und versuchte, unser Baby anzulegen.


Er stillte! Dieser Moment erfüllte mich mit Glück, weil ich spürte, dass dieses Angebot stimmig war für UNS!

Es war in den ersten Wochen nicht immer ganz so reibungslos. Wer schon ein Baby gestillt hat, weiß, dass es auch nach einer Geburt nicht immer gleich gut klappt und mal da und dort der ein oder andere verzweifelt ist, nicht weiterweiß und glaubt, es will so gar nichts werden. Und so war es eben bei uns auch, mal war das Anlegen schwierig, mal verzweifelte ich mit dem Brusternährungsset und am wenigsten mochte ich das Saughütchen. Wir haben uns nach einer Weile eingespielt, ganz ohne Zwang und ohne Stress. Ich lernte den Umgang mit dem Brusternährungsset und wenn man mal all die Macken heraußen hat, ist es auch gar nicht mehr wirklich viel Mehraufwand zur Flasche. Wir, mein Sohn und ich, lernten uns kennen und erlebten, und tun es noch, wundervolle Stillmomente des Liebens, Kuschelns, Lachens, Alberns, Tröstens und Hungerstillens. Immer wieder mal werde ich gefragt, ob ich denn wisse, wie viel Muttermilch ich habe und bis heute kann ich darauf nur sagen:

„Ich weiß es nicht, ich habe es nie gemessen!“ Es ist und war mir nie wichtig. Ich weiß, dass jeder Tropfen Muttermilch Gold wert ist und das ist schon mehr als genug Zugabe zu diesen unglaublich vielen schönen Aspekten, die uns das Stillen schenkt!

Diese Stillbeziehung werden wir fortführen, so lange sie für uns beide, Baby und Mama, passt!

Adoptivstillen ist eine großartige, nicht nachahmbare Möglichkeit ein Bindungsangebot zu stellen und ein Erfahrungsschatz nicht nur für Baby und Mama, sondern die gesamte Familie.


Die Bindung, die einem Baby und Kind geschenkt wird – egal auf welche Art und Weise – ist nach meiner Überzeugung und auch dem aktuellen Wissensstand nicht mehr löschbar und gibt Kraft und Resilienz die Hürden im Leben zu meistern, nach Bindungsabbrüchen wieder wo anknüpfen zu können und im selbstbewussten miteinander mit anderen Menschen zu leben.

Jede Familie - egal ob mit leiblichen, adoptierten oder in Pflege genommen Babys und Kindern - hat ein Recht über die Möglichkeiten der verschiedenen Bindungsangebote ein Wissen zu erhalten und auf IHREM ganz INDIVIDUELLEN Weg begleitet zu werden.

 

Über die Autorin:

Corina Zaloha, lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Pflegesöhnen am Rande von Wien. Sie ist diplomierte Kinderintensivkrankenschwester und arbeite seit 2012 bis zu ihrer Karenz auf der neonatologischen Intensivstation des AKH Wiens. Ihre zusätzlichen Qualifikationen sind: IBCLC Still- und Laktationsberaterin, geprüfte Trageberaterin der TSW, 1001kindernacht® Schlafberaterin und CIMI® Babymassagekursleiterin. Mit ihrem Wissen und ihrer Liebe zur Arbeit gründete sie 2017 neuGeborgen und begleitet Eltern mit ihren Babys auf ihrem Familienweg.

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